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(von Anthony Archer-Wills aus “Die Kraft des Wassers”)
Das Verhältnis von Mensch und Natur und die Interpretation der Stimmungen in der Natur haben Maler, Schriftsteller und Musiker schon immer inspiriert und herausgefordert. Im Mittelalter, als noch die Kirche der größte Mäzen war, wurden bezaubernde Gartenmotive in die Darstellungen religiöser Themen eingearbeitet. Auf Renaissancegemälden wie Raffaels Madonna mit dem Stieglitz (1506) locken im Hintergrund ernster und zarter Madonnen Flüsse und Seen.
Im 15. Jahrhundert nahmen die Brüder van Eyck Brunnen in ihre Andachtsbilder auf, die das Wasser des Lebens symbolisierten. Voller Ehrerbietung bilden ihre exquisiten Arbeiten wie etwa die 1432 fertiggestellte Anbetung des Lammes am Genter Altar und Die Madonna am Springbrunnen (1439) mit erstaunlicher Virtuosität Landschaften und Pflanzen ab. Gewährte man den Künstlern entsprechenden Freiraum, zeigte sich oft ihre Vorliebe für Landschaften und Seestücke.
Im protestantischen Holland und in England finden wir schließlich die reine Landschaftsmalerei. Allmählich wurden Gewässer, Gebirge und Wälder unabhängig von historischen oder religiösen Inhalten als eigenständige Sujets anerkannt. Schon immer schätzen manche Menschen die wunderbaren Winterszenen von Pieter Breughel dem Älteren (1525-1569) und Hendrick Averkamp (1585-1634), in denen sich Bauern unter Winterhimmeln auf zugefrorenen Seen vergnügen – eine ideale Darstellung der erholungsspendenden Kraft des Wassers.
John Constable (1776-1837) malte sich auftürmende Wolken, windzerzauste Kornfelder und klares Wasser mit derselben Verehrung und Leidenschaft, die früher den religiösen Sujets gegolten hatte. Zuvor hatte Claude Lorrain (Idyllische Landschaft, 1645) und Nicolas Poussin (1594-1665) bereits idealisierte, mythologische Landschaften der griechischen und römischen Antike gemalt, die von Nymphen und Göttinen bevölkert wurden. Es waren diese Landschaftsgemälde, die die großen englischen Landschaftsarchitekten des 18. Jahrhunderts so inspirierten. Auf Constables Bildern dagegen erblickt man anstelle der Göttinen der Antike gewöhnliche Sterbliche, die sich in seinen leuchtenden GEnrebildern sichtlich zu Hause fühlen. Neuerlich konnte man bei einer Ausstellung einen französischen Impressionisten entdecken, dessen schimmernde Wasserbilder sofort ins Auge stachen: Gustave Caillebotte (1840-1894), ein begeisterter Segler und Bootsbauer, malte funkelnde Wasserfälle voller Licht und Farbe und Gärten mit leuchtenden Pflanzenrabatten und Gemüsebeeten in allen erdenklichen Grünschattierungen.
Zwei Gemälde des 19. Jahrhunderts – Hylas und die Nymphen (1896) von J. W. Waterhouse und Ophelia (1851) von John Everett Millais – zeigen naturgetreue Darstellungen von Wasserpflanzen. Umgeben von Seerosen sind die Körper der Nymphen meisterlich durch das klare Wasser des Sees hindurch abgebildet, den gelben Schwertlilien und Sumpfvergißmeinnicht säumen. Einer Leiche ausgesprochen unähnlich treibt Ophelia durch den Wassergarten. Es ist interessant, daß die zeitgenössischen französischen Maler Renoir und Monet auf ganz unprätentiöse Weise sinnliche Bilder mit jungen Frauen und Seerosen malten, ohne historische oder literarische Bezüge zu bemühen.
Wasser ist auch für Musiker und Schriftsteller eine große Quelle der Inspiration. Kein Komponist fing die dramatische Spannung eines Unwetters besser ein als Rossini in seiner Ouvertüre zu Wilhelm Tell. Voller Kraft beschwört sie den aufziehenden Sturm, den krachenden Donner und die regengereinigte Stille, in der das Gezwitscher der Vögel auftönt. Die ruhigere Stimmung in Schuberts Forellenquintett läßt unter der bewegten Wasseroberfläche schimmernde Tiefen ahnen. Johann Strauss inspirierte der beruhigende Dauerregen im österreichischen Bad Ischl: “Der perfekte Urlaub … immer Regen, das Plätschern des Baches und ein gut beheiztes Zimmer, wo ich Musik schreiben kann”. Debussys kraftvolles, melancholisches Stück La Mer verleiht der See musikalischen Ausdruck.
Auch in der Literatur gibt es deutliche Beweise für die starke atmosphärische Kraft des Wassers. Schon in der Beowulf-Sage aus dem 8. Jahrhundert ist ein finsterer See die passende Behausung für das Ungeheuer Grendel und seine Brut. Chaucer zeichnet später im 15. Jahrhundert ein vollkommen anderes Bild und gewährt uns Einblick in die Freude, die unsere Vorfahren an ihren Wassergärten hatten:
Voll Blüthenzweigen einen Garten prangen,
Sah ich an einem Fluß in grünen Au´n
Voll ew´gen Wohduft; denn an Blumen sprangen
Genug der weißen, gelben, roten, blau´n;
Und kleine zarte Fische konnt ich schaun
Mit Silberschuppen und mit rothen Flossen
In kalten Bächen, die lebendig flossen.
In neuerer Zeit verwendete Tennyson in Crossing the Bar (Über die Schwelle) den Fluß als Allegorie für den Lauf des Lebens, das in den Tod mündet wie der Fluß in das Meer. In dem Bild gibt er der Hoffnung auf einen friedvollen Tod Ausdruck, wenn die sanfte Welle über jene Schwelle unmerklich von einem Leben ins andere hinübergleitet.
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